Inhalt


Was haben gewählte kommunale Mandatsträger/innen und Angehörige kommunaler Verwaltungen von der Bürgerbeteiligung?


Die Antwort auf diese Frage scheint für Viele klar: Ärger beim Streit mit schlecht Informierten, nutzlosen Zeitaufwand bei ergebnislosen Debatten, verlängerte Arbeits- und Sitzungszeiten, verschlechterte Entscheidungsqualität, weitere Reduzierung der ohnehin knappen Freizeit, Ärger mit Ehefrau/Ehemann oder Lebenspartner/in, weniger Zeit für die eigenen Kinder, kurz: Verschlechterung der eigenen Lebensqualität – und das alles wegen einer Marotte des Zeitgeists und einiger weniger Besserwisser, die daraus Kapital zu schlagen versuchen.

Nun aber im Ernst: Bürgerbeteiligung gibt es ja schon in vielen gar nicht mehr wegzudenkenden Formen. Was wären die Kommunen z. B. ohne die Mitwirkung von »sachverständigen Bürger/innen« in Ausschüssen und Beiräten?
Die erste Antwort auf die gestellte Frage muss dementsprechend lauten: Es geht darum, das bisher noch brachliegende »Sozialkapital« sehr vieler potenzieller »sachverständiger Bürger/innen« zu nutzen, die nur darauf warten, dass man für sie Verwendungen findet.
Also: Bürgerbeteiligung = Schaffung von Verwendungsmöglichkeiten für potenziell hochproduktive – aber kostenlose – bürgerliche Sachkompetenz zum Nutzen derjenigen Kommunen, die genügend Erfindungsgeist für innovative Maßnahmen einer in Richtung der Bürger/innen öffnungsfähigen Organisationsentwicklung besitzen!
Natürlich ist damit die Frage noch nicht gänzlich erledigt, denn nach den Ergebnissen zahlreicher repräsentativer Befragungen möchte die Mehrzahl der Einwohner/innen der Kommunen gern zu »Bürger/innen« mit Mitwirkungschancen bei den sie betreffenden öffentlichen Entscheidungen werden. So viele »sachverständige Bürger/innen« kann man natürlich nicht verkraften, wenn man nicht »aus allen Nähten platzen« will. Was also mit all den Vielen tun? Und wozu? Ist es nicht besser, es dabei zu belassen, dass sie gelegentlich ihre »Wut« ablassen, wenn ihnen etwas allzu sehr »gegen den Strich« geht oder sie vielleicht sogar dabei zu unterstützen, indem man die Wut-Schleusen (lies: Quotenregelungen bei Bestimmungen über Bürgerbegehren und Bürgerentscheid) weiter aufmacht und dadurch der Wut den »Wind aus den Segeln« nimmt?
Entdeckt man den Denkfehler, der in der letzteren listigen Überlegung steckt (Wutäußerung kann zum beliebten Sonntagsvergnügen mit »Kind und Kegel« werden!), dann erkennt man, dass es einer zusätzlichen Antwort auf die gestellte Frage bedarf. Aber: Bürgerbeteiligung für die »breite« Öffentlichkeit? Geht das eigentlich und was hat man letztlich hiervon?
Die Antwort fällt leicht, sobald man sie zweiteilt: »Breite« Bürgerbeteiligung hat für Kommunalpolitiker/innen den eminenten Nutzen, dass sie ihnen einen massiven »Legitimitätsgewinn« vermittelt: Menschen, die – ggf. unter Nutzung »niederschwelliger« Beteiligungsinstrumente wie des »Bürgerpanels« – frühzeitig informiert werden und Gehör finden, wenn es wichtiges zu entscheiden gibt, gewinnen das Gefühl, in das bisher so ferne und abweisende »Politiksystem« unmittelbar einbezogen zu sein und Mitverantwortung zu tragen. Sie honorieren dies durch »Akzeptanzgewährung« und letztlich durch Vertrauenszuweisung und das heißt u. a. auch: durch vermehrte Wahlbeteiligung. Die »Zuschauerdemokratie« der »Verdrossenen« gehört dann der Vergangenheit an. Jeder Kommunalpolitiker bzw. jede Kommunalpolitikerin, der/die aufrechte(r) Demokrat/in ist, wird dies als einen unschätzbaren Gewinn bewerten.
Ähnlich einfach, wenn auch etwas anders, kann die Antwort für die Kommunalverwaltung ausfallen: Die erwähnten »niederschwelligen Beteiligungsinstrumente «sind potenziell hervorragende Informationsmittel. Bei entsprechender Ausgestaltung kann man aus ihren Ergebnissen ableiten, wie die Wünsche, Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung und in ihren einzelnen Segmenten, Milieus und Gruppierungen beschaffen sind, wie Pläne und Maßnahmenprogramme öffentlich bewertet (oder »evaluiert«) werden, welchen »public value« man somit mit ihnen erzielen kann, wie hoch – auch bei Einsparungsplänen – die jeweiligen Akzeptanzbereitschaften sind und wo die Widerstände sitzen, wo den Bürger/innen, zusammenfassend gesagt, »der Schuh drückt« und wie sich also – bei knappen Mitteln – Lebensqualität optimieren lässt. Jeder Mitarbeiter bzw. jede Mitarbeiterin der öffentlichen Verwaltung, der/die zu »aufgeklärtem« Denken und Handeln in der Lage ist, kann nicht anders, als hier einen unschätzbaren Gewinn zu wittern und zu erkennen, dass sich auf einer solchen Grundlage sehr gezielt Beteiligungsinstrumente mit Mediationsqualität einsetzen lassen, die einen direkten Zugang zu zukunftsplanerischen Gemeinsamkeiten erschließen.
Also: Bürgerbeteiligung = Gewinnung von Planungssicherheit in Zeiten hoher Ungewissheit und Konfliktgefahr!
Zusammenfassend gesagt ist die Folgerung klar: Kommunalpolitiker/innen, die ihre Chancen erkennen, müssen ihre Verwaltung drängen, Bürgerbeteiligung auf ihre Fahnen zu schreiben. Und umgekehrt müssen rationale Verwaltungsmitarbeiter/innen bestrebt sein, zögerliche Politiker/innen »eines Besseren zu belehren«. Jeder kann dabei seinen Nutzen verfolgen und dennoch entsteht – unter Einbeziehung des elementaren Nutzens für die Bürger/innen – ein Gesamtnutzen, der das Gemeinwesen fördert.

 

Dieser Standpunkt ist zuerst erschienen auf »partizipation.at« (standpunkt 05/2012, www.partizipation.at).


Ulrich Müller, 21.06.2012 20:11 Uhr:
Herrn Prof. Dr. Helmut Klages danke ich für den Beitrag. Er ist gut und richtig.

Nachhaltig kann sich ein „Wozu Bürgerbeteiligung“ auch an der drängenden Zukunftsperspektive „Demografie und Segregation“ orientieren. Welche Strukturen im Gemeinwesen werden gebraucht, um die Aufgaben der Zukunft zu meistern?

Mit meinen begrenzten Erfahrungen aus Duisburg und dem Ruhrgebiet sind aus meiner Sicht die Kommunen gezwungen, die Flucht der Leistungsträger eines Gemeinwesens wie Familien und/oder Qualifizierte mit Innovation zu bedienen.

Das wird manchen Politikern und Stadtverwaltungen, so wie sie seit mehr als 100 Jahren von der Durchsetzung des Bergrechtes geprägt wurden, schwer fallen. Montanindustrie ist Montanrecht (durchaus aktuell interessant im Rahmen der Cracking-Diskussionen zur Erdgas-Gewinnung): Bergwerkbetreiber und Staat sind immer gegenüber von Bürgerinteressen der Gewinner – von gesetzeswegen. So funktioniert das Ruhrgebiet.

Die Menschen laufen aus dem Ruhrgebiet weg (Duisburg 4-6% der Einwohner pro Jahr). Um diese Segregation abzuwenden, reicht nicht der Bürger als <em>Kollaborateur</em> in einer sog. partizipativen Demokratie, wie sie die STIFTUNG MITARBEIT vertritt.

Gefordert wird die 'Kooperative Demokratie'. Das ist der Preis gegen die Segregation in Deutschland. Das Ziel: <b>Kooperative Kommune(n).</b>
Ulrich Müller, 21.06.2012 20:18 Uhr:
Es wird bedauert, dass es nur in sehr geringem Maße Bürgerbeteiligung beim Netzwerk Bürgerbeteiligung gibt. Bürger erscheinen als eine „schwer erreichbare Bevölkerungsgruppe“.
Ulrich Müller, 22.06.2012 12:58 Uhr:
Es ist geradezu die Pflicht engagierter Bürger und Intermediärer Akteure in aller Deutlichkeit zu fordern, durch Bürgerbeteiligung die Zukunft sehr vieler Kommunen zu sichern.

In teils weniger als einer Dekade wird sich die Not durch demografische Entwicklung zunehmend ausbreiten, so zum Beispiel http://www.wegweiser-kommune.de/ der Bertelsmann Stiftung und http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29722/kommunen-im-wandel bei der Bundeszentrale für Politische Bildung.

Beispielhaft sollen hier die Stadt Duisburg im westlichen Ruhrgebiet und der Landkreis Hochsauerland in Südwestfalen genannt werden. Strukturen der Bürgerbeteiligung sind allenfalls mit der Wünschelrute zu finden.

Politik und Stadtverwaltungen müssen sehr bestimmt und eindeutig auf die Folgen ihrer Unterlassungen hingewiesen werden, anderenfalls setzen sie ihre Stadt oder Region katastrophalen deflationären Tendenzen aus.

Bürgerbeteiligung ist kein allerliebster demokratischer Fortschritt, sondern bittere Notwendigkeit. Und wenn nicht eindeutig kooperative Strukturen im Miteinander von Politik, Verwaltung, Einwohner und anderer gesellschaftlich relevanter Akteure entwickelt werden, scheitert diese Region. Partizipation als ein bisschen Mitarbeit und Mitmachenschaft reicht nicht.
Ulrich Müller, 22.06.2012 13:15 Uhr:
Als ein aktuelles Blitzlicht über zukünftigen Gedeih oder Verderb kann eine Deutschland-Grafik über die Preise für Eigentumswohnungen angesehen werden (Finanztest 7/2012), aufgeteilt nach Landkreisen und kreisfreien Städten.
Ulrich Müller, 26.06.2012 07:59 Uhr:
Eine skandinavische Demokratiestudie hat aufgezeigt, dass „die Gebildeten und Gutsituierten“ ihre Themen „durchdrücken“ und warnt davor.

Ich empfehle weiterhin eine Kategorisierung der Bürgerbeteiligung. Bürgerbeteiligung kann nicht als ein Allheilmittel ansehen werden, sondern ist ein gezielter therapeutischer Eingriff ins Gemeinwesen.

Im aktuellen Heidelberger Entwurf bedarf es der Gnade des Oberbürgermeisters, wenn etwa ein Stadt- oder gar Ortsteil sein spezifisches Problem durch Bürgerbeteiligung lösen will. Das entscheidet nicht die Bezirksvertretung.

Um den Handlungsbedarf zu erkennen und in die rechte Stimmung zu kommen, lohnt sich ein Blick ins Grundgesetz, Artikel 28 (2) http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_28.html (Subsidarität),
(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. …
(kommunale Selbstverwaltung durch Bürgerbeteiligung bis auf Stadtteilebene? Um Einwohner am anderen Ende zu erreichen?)

Übrigens: 90 Prozent der kommunalen Aufgaben werden durch Bund und Land veranlasst, ohne dafür zu bezahlen, beklagt der Leverkusener Stadtkämmerer Rainer Häusler (SZ 21.6.2012). Geld für Bürgerbeteiligung als freiwillige Leistung gibt es nur in „ gebildeten und gutsituierten“ Kommunen, so mein weiterer Vorschlag zur Kategorisierung der Bürgerbeteiligung.
Ulrich Müller, 26.06.2012 08:25 Uhr:
Als freiwillige Leistungen sind Kultur und Bürgerbeteiligung auf SPARflamme. Wo, aas zeigt eine Karte des Innenministeriums NRW:
http://www.mik.nrw.de/fileadmin/user_upload/Redakteure/Bilder/Themen_und_Aufgaben/Kommunales/2012-02-01_HSK_Karte_31_12_2011_2.pdf

Das Bundesstatistikamt gestern: Schulden stiegen weiter. Jetzt über 2 Billionen, der Anteil des Bundes 1,2 Billionen.
Häusler: „Der Bund lässt die Kommunen ausbluten!“


Bitte loggen Sie sich rechts oben ein, um Kommentare zu schreiben.

Wenn Sie noch kein Netzwerkerprofil angelegt haben, können Sie sich hier registrieren.